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Dr. Christian Grube

Zeitnahe Realisierung des Anspruchs auf Abschluss einer Leistungsvereinbarung nach § 125 SGB IX

Was kann ein Leistungserbringer unternehmen, um seinen Anspruch auf Abschluss der Vereinbarungen nach § 125 SGB IX zeitnah zu realisieren, wenn der Leistungsträger zu Verhandlungen nicht bereit ist oder die Schiedsstelle nicht unverzüglich entscheidet?

Da es dem Leistungserbringer darum gehen wird, schnell ans Ziel zu gelangen, soll zuerst die Möglichkeit einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 SGG erörtert werden.

Das LSG Halle (Saale) (Beschluss v. 08.08.2022, L 8 SO 21/22 B ER) hat den Eilantrag eines Leistungserbringer, mit dem der (säumige) Leistungsträger verpflichtet werden sollte, mit ihm eine Leistungsvereinbarung abzuschließen, als unzulässig angesehen, da nach der gesetzgeberischen Konzeption zunächst die Schiedsstelle einzuschalten sei. Der Leistungserbringer hatte darauf hingewiesen, dass eine Entscheidung der Schiedsstelle nicht alsbald zu erwarten sei, da dort hunderte Verfahren anhängig seien (zu dem Beschluss des LSG s. Eicher, jurisPR-SozR 7/2023 Anm. 4).

Vor dem Hintergrund dessen, dass der Grundsatz effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG zum Kernbestand des Rechtsstaats gehört, ist es nicht hinnehmbar, den Leistungserbringer in dieser Lage „im Regen stehen zu lassen“. Daher muss jedenfalls ein Antrag an ein Gericht der Sozialgerichtsbarkeit zulässig sein, auch wenn die Frage der Begründetheit eines Eilantrags auf einem anderen Blatt steht.

Insoweit kommt auch in einem Eilverfahren ein Feststellungsantrag in Betracht, der gegen den Leistungsträger gerichtet ist und vor dem Soziallgericht (1. Instanz) gestellt werden muss (zur Statthaftigkeit eines Feststellungsantrags im Eilverfahren s. Eicher, a.a.O.; Schoch in: Schoch/Schneider, VwGO, § 123 Rn. 35, 57). Das LSG ist nicht zuständig, da es nicht um die Anfechtung eines Schiedsspruchs geht. Das Sozialgericht kann, (wenn die Voraussetzungen für die Begründetheit des Antrags vorliegen), feststellen, dass der Leistungserbringer verpflichtet ist, in Verhandlungen einzutreten. Der Antrag kann allerdings nicht auf den Abschluss einer bestimmten Vereinbarung gerichtet sein, denn der Inhalt eines Vertrags kann nicht durch ein Gericht gestaltet werden.

Ein Feststellungsantrag nach § 86b Abs. 2 SGG (Regelungsanordnung) ist nur begründet, wenn dies zu Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint und die gerichtliche Entscheidung eilbedürftig ist. Wesentliche Nachteile könnte ein Leistungserbringer im Hinblick auf die ausbleibende Refinanzierung seiner Leistungen vortragen, wobei es zudem noch darauf ankäme, dass er nicht in der Lage ist, die Leistungen vorzufinanzieren. Die allgemeine Voraussetzung, wonach eine besondere Eilbedürftigkeit für die gerichtliche Entscheidung vorliegen muss, berührt die Frage, ob nicht zuvor versucht werden müsste, durch Einschaltung der Schiedsstelle zum Erfolg zu gelangen. Der Antragsteller der hier angezeigten Entscheidung des LSG hatte davon abgesehen, die Schiedsstelle anzurufen, da er meinte, wegen der hohen Zahl an dortigen Verfahren nicht mit einer rechtzeitigen Entscheidung rechnen zu können. Die Schiedsstelle kann allerdings nach Ablauf der Wartefrist von drei Monaten (§ 126 Abs. 2 Satz 1 SGB IX) vom Leistungserbringer angerufen werden, auch wenn bis dahin noch keine Verhandlungen stattgefunden haben. Erfolglose Verhandlungen sind keine Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Schiedsstellenantrags.

Die Schiedsstelle ist nach § 126 Abs. 2 Satz 2 SGB IX gesetzlich verpflichtet, unverzüglich über die strittigen Punkte zu entscheiden, wobei alles in diesem Sinne strittig ist, wenn der Leistungsträger bisher nicht zu Verhandlungen bereit war.

Entscheidet die Schiedsstelle nicht „unverzüglich“, wobei hier offenbleiben mag, was darunter zu verstehen ist, und ob es sachliche Gründe gibt, die einer unverzüglichen Entscheidung entgegenstehen, stellt sich die Frage, welche rechtlichen Möglichkeiten ein Leistungserbringer besitzt, um eine Entscheidung in angemessener Frist zu erlangen.

Ein Antrag beim LSG scheidet aus, da das LSG sachlich nur für Klagen gegen Entscheidungen der Schiedsstelle zuständig ist. Eine Entscheidung liegt in diesen Fällen aber gerade nicht vor. Es ist aber statthaft, eine Untätigkeitsklage beim Sozialgericht erster Instanz zu erheben, denn der ohne zureichenden Grund in angemessener Frist nicht ergangene Schiedsspruch ist nach herrschender Ansicht ein Verwaltungsakt (§ 88 SGG).  Die Klage ist gegen die „Behörde Schiedsstelle“ zu richten, denn die Schiedsstelle ist nicht nur ein Streitschlichtungsorgan, sondern auch eine „normale“ Landesbehörde, die der Rechtsaufsicht durch das zuständige Ministerium unterliegt (s. z. B. § 1 Abs. 2 Satz 2 SGB IX Schiedsstellenverordnung nach § 133 SGB IX für Schleswig-Holstein). Da die Untätigkeitsklage – anders als die Untätigkeitsklage nach § 75 VwGO — als reine Bescheidungsklage ausgestaltet ist (Jaritz in: Ross/Wahrendorf/Müller, SGG, 2. Aufl. 2021, § 88 Rn. 10), kann die Rechtsaussichtsbehörde die Schiedsstelle anweisen, den ausstehenden Verwaltungsakt (Schiedsspruch) zu erlassen. Den Schiedsspruch selbst könnte die Rechtsaufsichtsbehörde nicht erlassen, da sie dazu nicht befugt ist.

Nur zur Abrundung der Problematik soll noch erwähnt werden, dass ein „grundloses“ Hinausschieben einer Entscheidung durch die Schiedsstelle eine Amtspflichtverletzung nach § 839 BGB, Art 34 GG beinhalten könnte. Zuvor müsste dann aber nach § 839 Abs. 3 BGB versucht worden sein, die oben erwähnte Untätigkeitsklage gegen die „Behörde Schiedsstelle“ zu betreiben.

Was eine Untätigkeit des SG oder des LSG in dem vorliegenden Zusammenhang angeht, ist auf den Entschädigungsanspruch wegen unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens nach § 198 GVG hinzuweisen (s. dazu BSG, Urt. v. 24.03.2022, B 10 ÜG 2/20 R). Von dieser Möglichkeit wird zu wenig Gebrauch gemacht.

Dr. Christian Grube

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